NERDfall Nr. 32 – Teil 1: Wundertüte Notaufnahme

Herzlich Willkommen zum neuesten NERDfall – wir nehmen euch dieses Mal mit in die Notaufnahme. Wir freuen uns sehr über eure Eindrücke und eure Erfahrungen – viel Spaß!

Lust auf Miträtseln und guten fachlichen Austausch? – dann kommt schnell in unsere Telgramgruppe!

Ein entspannter Sonntagsdienst in der Zentralen Notaufnahme scheint bereits am Vormittag in weite Ferne gerückt zu sein. Bisher blieb nur Zeit für einen kurzen Kaffee und eine Handvoll Gummibärchen aus dem Pflegestützpunkt. Die Stimmung ist gut, der Frühling kommt und die ersten warmen Sonnenstrahlen scheinen in die Flure der Klinik. Ein kurzer Blick nach draußen, bereits jetzt stehen viele RTWs kreuz und quer in der Liegendanfahrt – das wird ein langer Tag.

Die Triageliste zeigt insgesamt 5 Patient:innen für die internistische Abteilung: drei im Wartezimmer, die grün triagiert wurden, zwei „gelbe“ in den jeweiligen Räumen. Der zugeteilte Fachpfleger gibt im vorbeilaufen die nötigen Informationen zu einem der ‚gelben Patienten‘ an die diensthabende Internistin weiter: „Geh mal in Zimmer 4. Der Herr wartet schon eine halbe Stunde. Die Psychiatrie nimmt ihn nicht, laut dem Rettungsdienst ist er entzügig. An sich ist er auch unruhig, würde also schon passen.“ Ein Rettungsdienstprotokoll ist auf die schnelle nicht zu finden.

Auf der Untersuchungsliege im Zimmer liegt ein hagerer, großer und blasser Mann. Abwechselnd zieht er sich die Decke bis zum Hals oder zur Seite, er trägt lediglich ein T-Shirt und eine Unterhose. Gleichzeitig nestelt er am Kabel der Blutdruckmanschette. Als die Internistin das Zimmer betritt nimmt er Blickkontakt auf, die Augen sind aufgerissen. Ein prüfender Blick auf den Monitor, lässt die Ärztin nicht aus der Ruhe kommen. Alle Vitalparameter sind erstmal unbedenklich, zeitgleich zeigt sich ein Sinusrhythmus.

Auf Nachfrage beginnt der Patient strukturiert zu erzählen, dabei wirkt er leicht außer Atem. Eine Atemnot verspürt er nicht. Er berichtet, dass es ihm schon seit einiger Zeit nicht so gut geht. Eigentlich wollte er in die Klinik zum Entzug, aber er war sich sicher, dass er es dieses Mal alleine schaffen kann. Seit ein paar Tagen habe er keinen Alkohol mehr getrunken und er fühle sich unwohl, abgeschlagen, unruhig und sehr zittrig. Heute morgen sei es besonders schlimm gewesen, worauf er sich ein heißes Bad nehmen wollte. Er konnte nur nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen, woraufhin er es mit der Angst bekam und um Hilfe rief. Die Ehefrau hatte dann den Rettungsdienst alarmiert.

Sie beginnt die Lunge des Patienten auszukultieren – auf beiden Seiten hebt sich der Brustkorb synchron, die Atemgeräusche sind unauffällig. Die Atemfrequenz liegt in etwa bei 24/min. Die Herztöne sind rein und rhythmisch, die Recap Zeit beträgt ca. 2 Sekunden. Auch an der A. radialis ist der Puls gut tastbar. Fieber besteht nicht, die Haut ist an den Extremitäten kalt und trocken. Er gibt einen leichten Druckschmerz in der Mitte des Unterbauchs an. Ein Klopfschmerz über der Niere besteht nicht, das Abdomen ist weich. Stuhlgang ist unauffällig, die Urinausscheidung ist erschwert, dauert häufiger länger. „Wie war das denn mit dem Kraftverlust? Ist die Kraft wieder da?“ Die Ärztin erweitert die Anamnese, während sie nebenbei die Befunde dokumentiert. „Nein, gar nichts. Nichts passiert da! Die Sanitäter mussten mich hier reinfahren.“

Die Ärztin steht stutzig wieder auf. Durch erweitertes Untersuchen fällt auf, dass ein Anheben beider Beine nicht möglich ist, die Sensibilität ist jedoch erhalten. Eine Spastik oder ein Babinski besteht nicht. Irritiert greift sie zum Reflexhammer, sowohl Patellarsehenenreflex als auch Achillessehnenreflex sind nicht auslösbar. Ein Trauma verneint der Patient. Die Oberen Extremitäten zeigen sich unauffällig. Vorerkrankungen werden verneint, eine regelmäßige Medikamenteneinnahme besteht nicht. Nach einer kurzen Übergabe an den Pfleger der den Raum betritt, kümmert er sich um 12-Kanal EKG, intravenösem Zugang und Blutentnahme. Die Ärztin telefoniert zwischenzeitlich mit dem diensthabenden Neurologen, der nach kurzer Zeit in der ZNA die schlaffe Parese bestätigt.


Welche Diagnostik wünschst du dir? Hast du vielleicht schon eine Arbeitsdiagnose? Wie geht es für dich weiter?


Zusatzinfo 1:

Der Neurologe verschwindet telefonierend und versucht die MRT Untersuchung zu organisieren. Der Pfleger hält euch folgendes 12-Kanal EKG unter die Nase, gleichzeitig zeigt euch eine weitere Pflegerin die BGA.


Zusatzinfo 2:

Fokussiert setzt die Ärztin den Schallkopf auf die Nieren. Das restliche Abdomen zeigt sich unauffällig. Währenddessen lässt die Fachpflege den Patienten Salbutamol inhalieren. Calciumglukonat und Natriumbicarbonat werden über einen 18G i.v. Zugang an der Ellenbeuge appliziert.

Leider liegen die Sono Befunde im Original nicht vor, deswegen wurden äquivalente Befunde von https://www.thepocusatlas.com gewählt. 

Sowohl linker, als auch rechter Flankenschnitt zeigen sich ähnlich. Bilder von pocusatlas

Zusatzinfo 3:

Die Anlage eines Blasendauerkatheters gelingt nicht. Ein Urologe wird gerufen um zu unterstützen. In den Laborwerten bestätigt sich die Hyperkaliämie, ebenso zeigt sich eine Infektkonstellation und eine deutliche Einschränkung der Nierenfunktion. Aus dem mittlerweile erfolgreich gelegten Blasenkatheter wird der Urin untersucht. Der Anfangs unruhige Patient entspannt sich etwas.  Jedoch bleibt der neurologische Befund und die Vitalparameter wie bereits dargestellt – jetzt schnell (zusammen mit kompletten Monitoring und Notfallrucksack) ins MRT ins Untergeschoss.

10 Kommentare zu „NERDfall Nr. 32 – Teil 1: Wundertüte Notaufnahme“

  1. Irgendwie hat der Patient eine ausgeprägte, respiratorisch trotz Kussmaulatmung nur teilkompensierte metabolische Azidose mit deutlicher Anionenlücke, wobei das Laktat unauffällig bleibt.
    Es besteht sonografisch Harnstau II°, wohl a.e. bei Prostatahyperplasie (Anamnese)
    für ein akutes Nierenversagen mit derartiger K-Akkumulation eigentlich viel noch zu viel intaktes Parenchym – K also eher toxisch bedingt (zB auch nephrotoxisch)..?
    Hat er vielleicht irgendwas als „Ethanol-Ersatz“ getrunken oder für den Entzug eingenommen, was sauer weitermetabolisiert wird und neurotoxisch ist?? Gibts da aktuell irgendeinen Trend, den ich nicht kenne? Zu Methanol bräuchte es wohl Sehstörungen, ob er die hat (Augen aufreißen) ?? 2-Propanol??? Oder??
    Anämie – akut-toxisch bzw. hämolytisch? Oder chronisch-blutungsbedingt (muss ja nicht alles durch die gleiche Ursache bedingt sein)
    (das POCUS-Bild zeigt die rechte Niere, also die V. cava)

    1. wow, es geht spannend weiter!
      MCH/V/HC nicht erhöht, dh nicht ursächlich B-12 Mangel führend. Gesteigerte Hämatopoese und hohe Transferrinsättigung, hyperregeneratorische Anämie, also nicht erst seit gestern.
      Massives Ferritin – akute Phase und/oder schon länger Hämolyse?
      Das K fängt an mir Sorgen zu machen, Pat könnte jederzeit in maligne HRST fallen – (hielte zeitnah Shaldon, Notfalldialyse + ITS für angebracht – ob das mit dem MRT wirklich vorher noch reicht?).
      Die (nur) 3stellige CK/Rhabdomyolyse erklärt mE nicht hinlänglich ein so fulminantes Nierenversagen.
      Leukozytose, wohl adäquat zum CRP…?
      Die Leber hält erstaunlich ruhig.. die Lipase ist mit knapp 3x grenzwertig, aber wohl eher nicht führend.
      Ein HUS mit so krassem AKIN und intakten Thrombos zwar wohl theoretisch möglich, klingt mir mit der Anamnese und der unauffälligen Leber aber nicht soo wahrscheinlich??? Zu Bleivergiftung passt nicht, dass gastrointestinal so blande?
      Hämolyse, krasses AKIN, Neurotox und die ausgeprägte Azidose finde ich immer noch Intox-verdächtig, aber es will mir keine Substanz einfallen.
      Toller Fall!! Bin schon soooo gespannt auf die Auflösung 🙂 🙂 🙂

    2. Wie hast denn du jetzt eine vergrößerter Anionenlücke festgestellt? -in der BGA ist doch gar kein Cl- aufgelistet. Jedenfalls finde ichs nicht. Oder hab ich da was übersehen?

  2. Sehr spannend!
    Irgendwie hat der Patient eine ausgeprägte, respiratorisch trotz Kussmaulatmung nur teilkompensierte metabolische Azidose mit deutlicher Anionenlücke, wobei das Laktat unauffällig bleibt.
    Es besteht sonografisch Harnstau II°, wohl a.e. bei Prostatahyperplasie (Anamnese)
    für ein akutes Nierenversagen mit derartiger K-Akkumulation eigentlich viel noch zu viel intaktes Parenchym – K also eher toxisch bedingt (zB auch nephrotoxisch)..?
    Hat er vielleicht irgendwas als „Ethanol-Ersatz“ getrunken oder für den Entzug eingenommen, was sauer weitermetabolisiert wird und neurotoxisch ist?? Gibts da aktuell irgendeinen Trend, den ich nicht kenne? Zu Methanol bräuchte es wohl Sehstörungen, ob er die hat (Augen aufreißen) ?? 2-Propanol??? Oder…???
    Anämie – akut-toxisch bzw. hämolytisch? Oder chronisch-blutungsbedingt (muss ja nicht alles durch die gleiche Ursache bedingt sein, wobei der Wert schon knackig ist)
    (auf dem POCUS Bild ist die rechte Niere, also die V.cava)

  3. Vitamin B12 -Mangel mit funikulärer Demyelinisierung und megaloblastärer Anämie, aber auch ein aufgestautes Kelchszstem der linken Niere mit Hyperkaliämie. Sehen beide Nieren gleichsinnig so aus? Besteht eine Harnabflusstauung in der Harnblase oder Prostata, dann dringende Diagnostik eines Querschitts anleiern. Hier wohl eher Harnblase bei Vitamin B 12-Mangel im Rahmen eines Querschnitts……

  4. V.a BAA, Disekat, DD: GBS, ALS, LAE, wie ist der RR beidseitig? EKG sehe ich nicht. BGA zeigt eine Metab. Azidose, Anämie, Hyperkaliämie, HKT zu niedrig, Hyponatriämie, Hypocalciämie, Leberwerte und Gerinnung wären noch interessant. Leberversagen abklären.

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