NERDfall Nr. 29 – Teil 1: ein klassischer Krampfanfall

Es wird endlich mal wieder Zeit für einen neuen NERDfall für euch! Heute darf ich euch mit den ersten, zögerlichen Sonnenstrahlen des Frühlings an einen lauwarmen, regnerischen Julitag bringen. Wir freuen uns jetzt schon auf eine neue, spannende und lehrreiche Diskussion – viel Spaß mit NERDfall Nr. 29!

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Der RTW steht noch in der Einfahrt eines Krankenhauses. Es ist ein lauwarmer Sommertag, die ersten Regenwolken zeichnen sich am Himmel ab. Während die letzten Materialien auf dem Rucksack verstaut werden und der Rettungssanitäter gerade die Trage in das Fahrzeug schiebt, klingelt das Handy. Auf Nachfrage der Leitstelle meldet sich das Team wieder frei und kurze Zeit später fährt der RTW mit wehenden Fahnen vom Krankenhausgelände. Mit dem RTW alarmiert wurde das NEF – bei einem Blick in den Seitenspiegel sieht die Notfallsanitäterin das Fahrzeug dicht hinter ihnen.

Es beginnt leicht zu tröpfeln auf der Fahrt, nach knapp 10 Minuten erreicht das Fahrzeug in einer gepflegten Siedlung ein Mehrfamilienhaus. Zusammen mit der Unterstützung des NEFs werden die Rucksäcke für Kreislauf und Atmung, die Absaugeinheit und das EKG über ein enges Treppenhaus in den zweiten Stock getragen. Dort bringt eine junge Frau, die Freundin des Patienten, das Team über einen offenen Küchen-Essbereich ins Wohnzimmer.

Die Wohnung ist modern und minimalistisch eingerichtet, lediglich eine Wand ist mit bunten Postkarten und Urlaubsfotos geschmückt. Auf dem Boden vor dem braunen Ledersofa liegt ein sportlicher, junger Mann, Anfang 20, tonisch-klonisch krampfend – die Augen weit offen, die Haut wirkt fahl. Die Notärztin bemerkt sofort: „kritischer Patient!“ Der Rettungssanitäter schnappt sich das EKG und setzt sich neben den Patienten und versucht hektisch die ersten Vitalparameter zu erheben. Dabei fällt auf, dass die Haut warm und feucht ist, das T-Shirt ist teilweise schon durchgeschwitzt. Der Patient hat sich eingenässt. An den Mundwinkeln klebt dunkelrotes, geronnenes Blut. Der SpO2 Clip misst 72%, eine Herzfrequenz von 140/min, es entsteht jedoch keine gute Sättigungskurve. „Midazolam über MAD“ ruft die Notärztin und fügt noch „die große Ampulle“ hinzu.
Während die erfahrene Notfallsanitäterin das Medikament vorbereitet, wendet sich die Ärztin an die Freundin. Sie wirkt hilflos, die Augen verzweifelt auf ihren Freund gerichtet und beobachtet die Situation von der Seite.

„Seit wann krampft Ihr Freund? Und wann haben sie ihn das letzte Mal gesehen? Was war vorher?

„Das letzte Mal heute morgen – ich kam gerade von der Arbeit nach Hause und er war irgendwie seltsam drauf. War gar nicht klar im Kopf. Er hatte danach schon einmal gezuckt wie jetzt gerade, das hat aber schnell wieder aufgehört.“

„Ist das schonmal passiert, hat er Vorerkrankungen? Wie zum Beispiel Epilepsie?“

Die Freundin schüttelt den Kopf. „nein, gar nichts. Ich hab das auch bei ihm noch nie gesehen. Heute morgen fühlte er sich nicht so gut, er hatte sich nochmal hingelegt und auf der Arbeit krank gemeldet. Er hat Depressionen, aber die sind gut eingestellt.“


Wie würdest du weiter vorgehen?

Was ist für dich relevant?

Hast du vielleicht schon eine Arbeitsdiagnose?


11 Kommentare zu „NERDfall Nr. 29 – Teil 1: ein klassischer Krampfanfall“

  1. Komme mir fast schon doof vor, aber warum reden hier alle von Midazolam MAD? Erst recht bei nem jungen Mann ist doch dreimal schneller ein i.v.-Zugang etabliert, als dass sich die Wirkung einer nasalen Medikation entfaltet… selbst im Krampfanfall, dann drückt halt einer den Arm auf den Boden. Ich will den Krampf doch sofort durchbrechen, und nicht dabei zusehen und warten, bis die nasale Dosis wirkt, (oder der Krampf von alleine sistiert).

    Die DDs hier finde ich super, bis auf Hypoglykämie gibt es nach Durchbrechen des Anfalls aber außer ABC-Schutz keine präklinische Therapie, das nächste was der Mensch braucht ist ein cCT, bei Fieber/ Infektverdacht vorher noch Dexa und Antibiotika. Bei Meningitis/ICB/Status ep. gilt immer das gleiche: Time is brain.

  2. Arbeitsdiagnose: Status epilepticus, initiale Therapie: Midazolam 10 mg intranasal (brennt extrem) oder i.m, je nachdem was besser erreichbar ist. Spo2 Clip ans Ohr, Fixierung mit Pflaster, egal was Sensor anzeigt bei der Hautfarbe O2 geben (Nasenbrille oder Maske muss ausprobiert werden, welches besser toleriert wird).
    BZ (großzügig Glucose geben schon bei grenzwertigem BZ, Hypoglykämie) und Temperatur messen, wenn Status nach 2-3 min nicht durchbrochen, nächste Eskalation, wenn möglich über i.v. Zugang. Bei mir im Kreis müsste ich dann schon nach Kumulativ Midazolam 15 mg schon mit Propofol titrieren (andere Antikonvulsiva nicht auf dem NEF).
    Status durchbrochen, dann 2. i.v. Zugang, neurologische, internistische Untersuchung.
    Bei anhaltendem Status RSI mit Propofol, Fentanyl und Roucuronium.
    Patient kardiolulmonal stabil, postiktal oder in Narkose Transport in Schwerpunktversorger (DD: Meningitis, intracerebrale Blutung, Intoxikation).
    Pat. instabil, akut kritisch schlecht stabilisierbar Transport in Schwerpunktversorger.

  3. Warm, feucht, durchgeschwitzt + Depressionen, die nicht ganz unwahrscheinlich mit SSRI behandelt werden = schweres Serotonin-Syndrom?

    1. Nice!
      Da das serotonerge Syndrom mit einer erheblichen autonomen Instabilität und sowohl Hyper- als auch Hypotonie einhergehen könnte, bräuchten wir noch einen Blutdruck, könnte nämlich neben (drohenden) A (häufig Übelkeit/ Erbrechen) auch ein C Problem mit dabei sein.
      Kühlung und Volumensubsti, ggf. RSI mit Rocuronium.
      LG!

  4. Kleiner Hinweis am Rande: die Formulierung „die große Ampulle“ halte ich vor allem bei Midazolam für gefährlich, da erfahrunsgemäß jeder etwas anderes unter „größer“ versteht: der eine bezieht es auf die Dosierung (hier wäre dann die „kleine“ Ampulle mit 15 mg in 3 ml „die große“), während der nächste die „große“ 5 ml Ampulle mit 5 mg in 5 ml als größer ansieht. Beim MAD würde das ganze bei einem ml pro Nasenloch dann 1 mg statt 5 mg bedeuten, und im Zweifel über Wirksamkeit ja oder nein entscheiden. Also gerade bei diesem Wirkstoff halte ich CRM und eindeutige Anweisungen für wesentlich.

  5. SpO2 am Ohr nachmessen, sind Zyanosen vorhanden? Mundraumkontrolle ggf. absaugen (Blut im Mundraum?)
    Arbeitsdiagnose wäre bei der aktuellen Faktenlage eine Intoxikation, Stichwort anticholinerges Syndrom.

    1. Wichtige DD bei Neurologie + Hyperthermie, aber das anticholinerges Syndrom macht trockene Haut.
      „mad as a hatter, hot as hell, red as a beat, dry as a bone, and blind as a bat“
      LG!

  6. Man muss Meningitis/Encephalitis, elektrolyte störungen oder Intoxikation (er nimmt antidepressiva, die können elektrolyte störungen hervorrufen) ausschliessen. Weil er sich seit Morgen nicht gut gefühlt hat, geht die verdacht diagnose auf die richtung Infektion zu. Es könnte auch ein neu aufgetretene Epilepsie sein, aber zuerst muss man alle andere diagnosen ausschliessen. Natürlich muss man auch blutzucker überprüfen, um eine hypoglikämie auszuscliessen. Ich würde die Frau noch fragen, ob es möglich ist, dass er sich überdosiert hat? Wenn die Krampfanfall vorbei ist, würde ich eine neurologische untersuchung machen. Patient brauct überwachung und eine weitere diagnostik im Krankenhaus. (EKG, BGA, … usw. )

  7. SpO2 Clip am Finger? Beim krampfenden Patienten? Sind Puls und SpO2 realistisch? SpO2 ans Ohr versetzen.
    Hat er am Morgen über Kopfschmerzen gefragt (wenn ja, genauer nachfragen)
    Arbeitsdiagnose erstmaliger epileptischer Anfall, DD akut symptomatischer Anfall (Sepsis?, Intox [welche Medikamente nimmt er bei Depressionen, leere Blister im Mülleimer])
    Entspricht das Bild tatsächlich einem generalisierten Anfall (der Beschreibung nach ja) oder kommt auch ein psychogener nicht-epileptischer Anfall in Betracht?
    Maßnahmen: O2 über Maske mit Reservoir 15l/min., BZ messen, temp. messen, , Schmerzreiz setzen (Reaktion ja / nein), Wenn 3-5 Minuten nach Midazolam Applikation kein sistieren, Midazolam Repetition, i.v. Zugang, weiter nach Hinweisen auf ASA suchen (und dann gezielt behandeln), wenn 3-5 Minuten nach Midazolam Repetition kein sisiterien, weiter mit Levetiracetam 60mg/kgKG, wenn kein sistieren, RSI mit Propofol / Fentanyl / Roccuronium, ggf. begleitend Norepinephrin Perfusor 0,01mg/ml.

  8. AIRWAY: Schutz vor Verletzungen während des Krampfanfalls, im Anschluss ggfs. (erweitertes) Atemwegsmanagement je nach Situation
    BREATHING bereits während des Anfalls hochdosierte O2-Gabe via Maske, ggfs, Maskenbeatmung im Anschluss.
    CIRCULATION: sobald Krampfanfall sistiert EKG und Blutdruck sowie große Blutungsräume untersuchen.
    DISABILITY Pupillenstatus, Blutzucker, Meningismus?
    ELSE: Entzündungszeichen? Vorerkrankungen und Dauermedikation? 10mg Midazolam via MAD und iv-Zugang vorbereiten, ggfs. intravenös 3-5mg Midazolam i.v. wenn Krampfanfall nicht sistiert.

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